Ergebnis 2017: Systemisches Konsensieren – Das Akzeptanz-Barometer

Ergebnis 2017: Systemisches Konsensieren – Das Akzeptanz-Barometer

Besser(e) Entscheidungen treffen – Systemisches Konsensieren

Das Akzeptanz-Barometer

Viele Entscheidungen – privat, beruflich und auch politisch – fällen wir nach dem bekannten Mehrheitsprinzip. Die meisten Menschen kennen kaum andere Entscheidungsmethoden und hinterfragen daher auch nicht, ob diese Methode überhaupt tauglich ist. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Entscheidungsprozesse oft schleppend voran gehen, dass sich die „Kontrahenten“ in endlose Diskussionen verstricken und dass die gefundenen Lösungen am Ende oft niemanden so richtig zufriedenstellen. Woran liegt das, sind wir Menschen so schwierig?

Nicht nur die Menschen, sondern auch die gewählte Methode hat einen erheblichen Einfluss, ob sich die Dynamik in einer Gruppe in Richtung Dissens oder Konsens entwickelt. Das Systemische Konsensieren (vgl. Artikel im TrainerJournal 6/14) wurde entwickelt, um eine größtmögliche Annäherung an den Konsens zu erreichen.

Nach vielfältigen, ausschließlich positiven Erfahrungen bei privaten und beruflichen Entscheidungen, haben wir einen Feldversuch gestartet, wie wir die Methode des Systemischen Konsensieren auch auf politische Entscheidungen übertragen können. Selbst wenn Sie nicht so sehr an Politik interessiert sein sollten, bietet der folgende Artikel allein auch aus methodischer Perspektive interessante Gesichtspunkte.

Die Sicht der Wähler

Bei üblichen Mehrheitsentscheidungen wird die Entscheidungsmöglichkeit auf die Wahl „1 aus X“ beschränkt. Nicht selten fällt die Wahl zwischen zwei Favoriten schwer oder man hat das Gefühl, unter mehreren Übeln das geringste wählen zu müssen. Dies mag einer der Gründe sein, warum die Gruppe der Nicht-Wähler immer größer wird.

Beim Konsensieren bewertet üblicherweise jedes Gruppenmitglied jede Lösungsalternative auf einer Skala von 0 bis 10 (0 = „ich habe keine Bedenken“, 10 = „ich lehne den Vorschlag total ab“, Zwischenwerte nach Gefühl).

Für unser Akzeptanz-Barometer, in dem nicht Lösungen für konkrete Fragen, sondern die politischen Parteien bewertet werden, haben wir die Fragestellung wie folgt umformuliert: „Wie viel Widerstand erzeugt bei Ihnen folgende Aussage: Meine Interessen werden von der jeweiligen Partei optimal vertreten“.

Abbildung 1 zeigt die optische und technische Umsetzung der Umfrage in einem Ausschnitt. In der Liste sind die 8 Parteien genannt, die in der Bundestagswahl 2013 die meisten Stimmen erhalten haben. Zusätzlich kann der Anwender auch noch eine Partei seiner Wahl einfügen. Bei jeder Partei gibt es einen Schieberegler, mit dessen Hilfe man seine Bewertung festlegt.

Abbildung 1: Umfrage zur Bewertung der Parteien mit Schieberegler (insgesamt sind 8 Parteien aufgelistet, eine weitere kann ergänzt und ebenfalls bewertet werden).

Abbildung 2 zeigt ein vorläufiges Ergebnis. Auch wenn es nicht unbedingt repräsentativ sein wird, zeichnet es meines Erachtens ein stimmiges Bild unserer politischen Landschaft.

Die Akzeptanz der Parteien liegt zwischen 5 und 45%. Das heißt, durchschnittlich haben die Befragten 5,5 bis 9,9 der 10 verfügbaren Widerstandsstimmen genutzt. Dies verwundert angesichts sinkender Wahlbeteiligungen und zunehmender Politikverdrossenheit nicht. Anders als bei herkömmlichen Verfahren, bei denen immer Parteien – unabhängig wie niedrig die Wahlbeteiligung ist – als strahlender Wahlsieger hervorgehen, wäre dieses Ergebnis ein klarer Spiegel für die Politiker, wie es um ihre Beliebtheit und Vertretungskompetenz wirklich steht. Sie wüssten, dass es an der Zeit ist, nachvollziehbare und transparente Konzepte zu entwickeln.

Abbildung 2: Akzeptanz-Barometer, blau = Akzeptanz, rot = Widerstand, nach Auswertung am 22.10.2017

Ein wesentliches Qualitätskriterium für soziale Wahlen ist die Unabhängigkeit von sog. „irrelevanten Alternativen“. Wie es sich auswirkt, wenn dieses Kriterium nicht gegeben ist, haben alle erfahren, die sich am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest beteiligt haben. Der Sieger Andreas Kümmert hat dem überraschten Publikum mitgeteilt, dass er beim Song Contest nicht antreten will. Er wurde damit vom Sieger zur irrelevanten Alternative – alle Stimmen, die er auf sich vereint hatte, haben keinerlei Einfluss auf den Wahlausgang. Ähnliches passiert bei jeder Wahl. Eine Partei wie die FDP schwankt seit Jahrzehnten zwischen Regierungsbeteiligung und irrelevanter Alternative. Neue Parteien, die nicht nur auf Protest setzen, sondern konstruktive und innovative Konzepte verfolgen, die aber nicht auf Anhieb „massentauglich“ sind, scheitern an der 5%-Hürde. Und selbst, wenn sie nach Prognosen in die Nähe der 5%-Hürde kommen, haben Bürger/innen Bedenken ihre Stimme für sie abzugeben, weil sie ihr Kreuzchen nicht verschenken möchten.

Der Einsatz des Systemischen Konsensierens in der Politik – beispielsweise als repräsentatives Akzeptanz-Barometer – würde uns Wähler aus so mancher Zwickmühle befreien und endlich ein echtes öffentliches Meinungsbild offenbaren, das die Repräsentanten in die Pflicht nimmt.

Entscheidungen im (Arbeits-)Alltag

Das Beispiel zeigt, dass das Mehrheitsprinzip,  sich mit einer Stimme für A oder B zu entscheiden, große Schwächen aufweist. Dennoch übernehmen wir dieses demokratische Standardverfahren für Gruppenentscheidungen jeglicher Art und handeln uns damit eine Dynamik ein, die die Mitglieder polarisiert und am Ende in Sieger und Verlierer spaltet. Oft gibt es keine Differenzierung oder Handlungsspielräume. Mit dem einmaligen JA akzeptiert man das ganze Paket, obwohl das nicht der eigenen Überzeugung entspricht und die anderen Möglichkeiten häufig auch akzeptable Inhalte bieten. Das kann ein Gefühl der Ohnmacht erzeugen, ist unbefriedigend und fördert die zunehmende Einstellung zur Gleichgültigkeit.

Es lohnt daher sehr, sich mit der Methode des Systemischen Konsensierens intensiv auseinanderzusetzen. Sie bietet vielfältige Ansätze für bessere Entscheidungen in unterschiedlichen Kontexten – von der Entscheidung, die ich für mich selbst treffe über Routinebesprechungen in der Familie, im Verein und in der Firma bis hin zu demokratischen Entscheidungsprozessen. In jedem Falle fördert Systemisches Konsensieren die Mitbestimmung, nimmt die Teilnehmer/innen in die Verantwortung und sorgt für weniger Reibungsverluste in der Umsetzung der Entscheidung.

Ausbildungsmöglichkeiten

In diesem Artikel möchte ich Ihnen ein paar Grundlagen des Systemischen Konsen­sierens vermitteln und eine Vorahnung wecken, welche Schätze Sie mit der Methode heben können.

Zur professionellen und sicheren Anwendung benötigen Sie aber weit mehr Wissen. Deshalb bilden wir Führungskräfte, Trainer, Coaches und Mediatoren zu SK-Moderatoren aus. In drei Workshop-Modulen, die insgesamt 5 Tagen dauern, lernen die Teilnehmer die Methode in allen Facetten kennen.

Die Erfahrung zeigt, dass Konsensieren auf den ersten Blick einfach erscheint, dass es aber viele Feinheiten und Fallstricke gibt und dass daher eine fundierte Ausbildung sinnvoll ist. Auch nach dieser Ausbildung lassen wir Sie nicht im Stich; wir bieten Super­vision und Treffen zum Erfahrungsaustausch an.

In Kooperation mit dem Trainertreffen Deutschland werden wir einen eintägigen Basisworkshop für Interessierte anbieten, der auf die Ausbildung angerechnet werden kann.

Sie haben Fragen oder sind am Thema interessiert? Dann wenden sie sich gerne an mich.

Literatur-Empfehlungen

Weitere Beispiele und methodische Erläuterungen finden Sie in folgenden empfehlens­werten Fachbüchern zum Thema.

  • Josef Maiwald:
    Smart entscheiden!
    Methoden und Strategien, die Sie vor­anbringen * privat * beruflich * gesellschaftlich;
    ISBN 978-3-934051-09-6
    (auch als E-Book)
  • Siegfried Schrotta:
    Wie wir klüger entscheiden
    Einfach – schnell – konfliktlösend; 2011
    ISBN 978-3-901921-44-5
    (auch als E-Book)
Weitere Informationen zum Thema
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