Belohnung aufschieben können: maßgeblich für Erfolg im Leben?

Belohnung aufschieben können: maßgeblich für Erfolg im Leben?

Er gehört zu den bekanntesten Experimenten der Psychologie – der Marshmallow-Test. Walter Mischel entwickelte Ende der 1960er Jahre einen Test, durch den sich bewerten ließ, inwieweit vierjährige Kinder einer Versuchung widerstehen können. Die Kinder wurden vor einen Teller mit einem Marshmallow gesetzt. Sie bekamen gesagt, dass sie das Marshmallow gleich essen können. Wenn sie aber eine bestimmte Zeit damit warten, würden sie mit einem zweiten belohnt. Nicht allen Kindern gelang dabei der Belohnungsaufschub (delay of gratification).

Die gleichen Versuchspersonen untersuchte man dreizehn Jahre später noch einmal. Bei den inzwischen 21-jährigen zeigte sich, dass sich diejenigen, die schon als Vierjährige mehr Willensstärke bewiesen, von den übrigen Probanden durch nachfolgende Merkmale abhoben. Sie waren

  • zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung
  • emotional stabiler
  • besser im Umgang mit Rückschlägen
  • sozial kompetenter
  • seltener drogenabhängig

Sind die Zusammenhänge doch nicht so klar?

Dieses Experiment wurde in den nachfolgenden Jahren in verschiedenen Ländern oft wiederholt und auch variiert. Dabei schnitten beispielsweise Kinder aus Kamerun besser ab als Kinder aus Deutschland. Kindern aus Afrika viel es dabei leichter, geduldig zu warten als deutschen Kindern. Die AutorInnen erklären sich die Unterschiede durch die jeweiligen Erziehungsstile. In Kamerun lernen die Kinder früh, sich in eine Gruppe einzuordnen, Gehorsam und Respekt vor älteren Menschen gelten dort als hohe Werte (Lamm et al., 2017).

Vor kurzem testete man japanische Kinder im Vergleich mit amerikanischen. Beim klassischen Marshmallow-Test konnten sich die japanischen Kinder deutlich länger beherrschen. Wurden die Marshmallows jedoch durch verpackte Geschenke ersetzt, bewiesen die amerikanischen Kinder mehr Geduld. Hier spielt wohl eine wichtige Rolle, dass in den USA die Kinder Erfahrung damit hatten, dass sie an Weihnachten oder an Geburtstagen lange warten müssen, bevor sie die Geschenke auspacken dürfen.

Die Varianten des Experiments, die zu diesen differenzierteren Ergebnissen führten, bewogen manche zu Kritik am ursprünglichen Untersuchungsdesign und der weitreichenden Interpretation der Ergebnisse. Ganz so einfach ist es nunmal nicht, mit einem simplen Test bereits im Vorschulalter den späteren Lebenserfolg vorherzusagen. Es gibt kulturelle Unterschiede, die Art der in Aussicht gestellten Belohnung sowie die Erfahrung der Kinder, ob sie vertrauen und an die spätere Belohnung glauben können. Menschen sind komplex und viele Faktoren spielen eine Rolle.

Belohnungsaufschub – tatsächliche Bedeutung

Falls Sie zu den Kindern gehörten, die als Vierjährige nicht hätten widerstehen können, verzagen Sie nicht. Die Studienergebnisse zeigen zwar insgesamt, dass es oft wichtig ist, warten zu können. Da es jedoch kulturelle Unterschiede gibt, zeigt sich, dass diese Fähigkeit erlernbar und damit trainierbar ist. Problematisch ist derzeit eher, dass wir mehr in die falsche Richtung trainiert werden: Schicken wir eine virtuelle-Nachricht, erhalten wir (meistens) sofort den Hinweis, dass die Nachricht zumindest angekommen ist. Verspüren wir leichten Hunger, ist der nächste Fastfood-Imbiss nicht weit. Fehlt uns das nötige Geld für eine Anschaffung, werden wir mit vermeintlich günstigen Verbraucherdarlehen oder Angeboten zum Ratenkauf gelockt. Online-Händler legen sehr viel Wert darauf, dass die eben bestellte Ware ruckzuck geliefert wird. Und die Sendungsnachverfolgung erlaubt uns, zu beobachten, wo sich die Lieferung gerade befindet. Diese Beispiele ließen sich noch lange fortführen. Alles Erwünschte soll möglichst gleich geschehen.

Eine reflektierte Selbstkontrolle, zu der auch das Vermögen zum Belohnungsaufschub zählt, ist in folgenden Situationen wesentlich:

  • heute nur so viel Alkohol trinken, dass es mir auch morgen gut geht
  • grundsätzlich nur das kaufen, was ich mir auch leisten kann (das Konto bleibt im Plus)
  • auch wenn das vermeintlichen Schnäppchen noch so lockt, jetzt nur das kaufen, was ich wirklich brauche, damit ich morgen dem verschwendeten Geld nicht nachtrauere
  • jetzt zugunsten der Umwelt den Konsum reduzieren, um auch morgen noch in einer lebensfreundlichen Welt zu leben

Transferfrage: Bei welchen Themen und oder Gelegenheiten will ich mich im „reflektierten Belohnungsaufschub“ üben?

Autor: Josef Maiwald

Quellen

Benz, Anton: Marshmallow-Test: Auf die Art der Belohnung kommt es an, 01.08.2022
https://www.spektrum.de/news/marshmallow-test-auf-die-art-der-belohnung-kommt-es-an/2047281

Gelitz, Christiane: Marshmallow-Test: Wurde das berühmte psychologische Experiment falsch interpretiert?, 31.05.2018,
https://www.spektrum.de/news/wurde-das-beruehmte-psychologische-experiment-falsch-interpretiert/1568452

Stangl, Werner: Marshmallow-Test. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, 16.08.2022
https://lexikon.stangl.eu/3697/marshmallow-test

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