Gemeinsinn macht Sinn!

Gemeinsinn macht Sinn!

Der Schlüssel zum konstruktiven Wandel:
kollektive Intelligenz plus Werteorientierung
Von Josef Maiwald und Tom Müller (24.09.2018)

Darwinismus ist out!

Laut Darwins Beobachtungen natürlicher Vorgänge beruht die Evolution in erster Linie auf zwei Prinzipien: Zum einen sorgt der Zufall für Variationen in der Erbausstattung. Diese sind von Generation zu Generation minimal. Zum anderen gibt es ein Prinzip der Verdrängung, bzw. „Survival of the Fittest“. Demnach setzen sich die anpassungsfähigsten Spezies durch – diejenigen, die mit den Umweltbedingungen und –Veränderungen am besten zurechtkommen. Andere Arten verschwinden.
Dieser so postulierte Konkurrenz- und Verdrängungskampf inspirierte unsere Gesellschaft und die Prinzipien der Wirtschaft. Es gilt das Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“ und der freie Markt sorgt für eine gute Balance zwischen Angebot und Nachfrage.

Wer so denkt, ist nicht mehr ganz auf der Höhe der Erkenntnisse!

Inzwischen ist klar: Darwin lag nicht ganz falsch. Doch seine Theorie ist nicht umfassend genug. In Zeiten von Ressourcenknappheit sind Konkurrenz und Kampf tatsächlich vordergründig. In der Natur spielen aber Kooperation und Kommunikation eine gewichtige, wenn nicht sogar die wichtigere Rolle. Unterschiedliche Arten stärken ihre Überlebensfähigkeit, indem sie Symbiosen eingehen. Zum Beispiel die Fortpflanzungssymbiose zwischen Bienen, Hummeln und Schmetterlingen mit Blütenpflanzen. Menschen sind ohne die Symbiose mit unterschiedlicher Bakterien, die Haut, Lunge, Darm und sämtliche Körperöffnungen besiedeln, überhaupt nicht lebensfähig.

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse belegen die Vorteile von Kommunikation und Kooperation. Es gibt Hinweise, dass unser Erbgut kreative Elemente enthält. Genome haben lt. Prof. Joachim Bauer (Arzt und Evolutionsforscher) sensorische Eigenschaften. Sie können über molekulare Signale feststellen, wenn sich die Umweltbedingungen vital bedrohlich ändern. In Krisensituationen kann dadurch ein evolutionärer Entwicklungsschub initialisiert werden.

Psychologie und Gehirnforschung belegen die Bedeutung der Kooperation ebenfalls: Normale Menschen vermeiden es, anderen Schmerz zuzufügen. Unter anderem bewirken Spiegelneuronen im Nervensystem, das wir mitleiden, wenn wir mitbekommen, dass es anderen schlecht geht. Bei fairem Verhalten und Kooperation hingegen schüttet unser System Glückshormone aus.

Der Trendforscher Jörg Melzer geht davon aus, dass strategische Allianzen von Unternehmen wie etwa die von VW und Ford beim VW Sharan bzw. Seat Alhambra und dem Ford Galaxy zukunftsweisend sind. Reines Konkurrenz- und Wettbewerbs-Denken sei nicht mehr angemessen. In unserer vernetzten Gesellschaft zahle sich ein kooperatives Mindset und die gemeinsame Erarbeitung von Win-Win-Lösungen immer mehr aus.

Kollektive Intelligenz versus Dummheit

Von kooperativen Win-Win-Lösungen ist es nur noch ein kurzer Gedankensprung zur kollektiven Intelligenz. Schon Aristoteles stellte in seiner Summierungsthese fest, dass die Entscheidung einer größeren Gruppe besser sein kann als die einer kleinen, sogar dann, wenn die kleine Gruppe besonders fachkundig erscheint.

In der Literatur zur Schwarm-, Gruppen- bzw. kollektiven Intelligenz finden sich unzählige Beispiele, zu welchen kollektiven Leistungen Tiere und Menschen fähig sind. Zugvögel sparen ohne theoretisches Wissen über Aerodynamik bis zu 20 Prozent Energie, indem ihr Schwarm in einer V-förmigen Formation fliegt. Ein schönes Beispiel menschlicher Gruppen-Intelligenz ist z.B. Wikipedia. In Projektteams zeigt sich immer wieder, dass gegenseitige Inspiration deutlich bessere Ergebnisse bringt, als nur die Summe von Einzelleistungen.

Doch der Spruch „Viele Köche verderben den Brei“ weist darauf hin, dass man sich gegenseitig auch blockieren kann. Durch negative Gruppendynamik können die negativen Effekte überwiegen. Gunter Dueck widmete diesem Problem ein ganzes Buch: “Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam”. Er beklagt, dass wir unsere Intelligenz aus persönlichem Ehrgeiz gegeneinander nutzen. Die Intelligenz der einzelnen Individuen hebt sich dabei auf und endet in großer Gesamtdummheit.

Intelligenz braucht Werte und innovative Methoden

Gruppen-Intelligenz kann benutzt werden, um noch raffiniertere Waffen zu bauen, die Bevölkerung mittels Big Data immer besser zu durchleuchten und zu kontrollieren oder Bauern weltweit durch hybrides, nicht fortpflanzungsfähiges Saatgut immer weiter in Abhängigkeit zu treiben.

Ohne Werte wie Fairness, Rücksichtnahme und Nachhaltigkeit helfen weder individuelle noch kollektive Intelligenz, lebensfördernde Bedingungen zu bewahren. Diesen Aspekt vermissen wir in der uns bekannten Literatur zu Gruppen-Intelligenz. Üblicherweise werden gemeinsame Ziele, ein funktionierender Informationsaustausch und kognitive Vielfalt als Voraussetzung für intelligente Gruppenleistungen genannt. Dabei konzentriert sich individuelles Denken oft zu eng auf die eigene Sippe, auf kurzfristigen Erfolg und zu wenig über den eigenen momentanen Tellerrand hinaus.

Falls wir, zusätzlich zu unseren bisherigen Kriterien, unsere Entscheidungen und unser Handeln auch noch ethischer und nachhaltiger ausrichten wollen, würde sicher folgende Frage auftauchen: Wie lässt sich angesichts der Komplexität eines Themas, an dem mehrere Personen beteiligt sind, in zeitlich vertretbarem Aufwand eine Entscheidung finden? Besprechungen mit mehr als drei Beteiligten dauern oft unangemessen lang.

Ein konstruktiver Ansatz dazu liegt im systemischen Konsensieren (SK). SK bietet unterschiedliche Methoden und Werkzeuge auf der Basis: Widerstand wird ernst genommen und als kreatives Potenzial genutzt.

Weitere Informationen zum SK erhalten Sie im Artikel „Das kreative Potenzial in Bedenken und Widerstand“.

Die Autoren

Josef Maiwald aus München und Tom Müller aus Düsseldorf verfügen über langjährige Erfahrung als Organisations- & Personalentwickler, Trainer & Coaches, Mediatoren & Moderatoren. Ihre Begleitung, Beratung und Training unterstützt Unternehmer und Führungskräfte dabei, das Potenzial ihrer Mitarbeiter/innen zu entfalten und smarte Gruppenintelligenz zu fördern (www.smarterlife.de, www.gruppenintelligenz.de).

 

Quellen und Literatur (Auswahl)

Dueck, Gunter: Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam. Frankfurt am Main: Campus, 2015

Fisher, Len: Schwarmintelligenz – Wie einfache Regeln Großes möglich machen. Frankfurt: Eichorn, 2010

May, Jochen: Schwarmintelligenz im Unternehmen – Wie sich vernetzte Intelligenz für Innovation und permanente Erneuerung nutzen lässt. Erlangen: Publics Publishing, 2011

Surowiecki, James: Die Weisheit der Vielen: Warum Gruppen klüger sind als Einzelne und wie wir das kollektive Wissen für unser wirtschaftliches, soziales und politisches Handeln nutzen können. Kulmbach: Börsenbuchverlag, 2017

Web:

www.sueddeutsche.de
16.01.2014 Energiesparmodus am Himmel

www.swr.de
12.02.2009 odysso: Kooperation schlägt Selektion?

www.zukunftsistitut.de
09.2015: Coopetition statt Konkurrenz

Top